Urs Graf (64): «Vor Sorge um mein Geschäft wälzte ich mich nächtelang im Bett.»

Pünktlich zu seinem Geburtstag am 12. Mai wird Urs Graf (64) sein Hi-Fi-Geschäft «Gramophone 2010» am Theaterplatz wieder öffnen dürfen. Er schaut positiv in die Zukunft – und doch gibt es in der Zeit des Coronavirus einiges, das ihn nachdenklich macht.
Am 04.05.2020 in Von Basel. Für Basel. von Ekaterina Cámara

Freitag, der 13. März war der letzte Arbeitstag von Urs Graf. Am Montag darauf beschliesst der Bundesrat den landesweiten Lockdown: Das Coronavirus versetzt Basel nun fast gänzlich in einen Zustand des Stillstandes. Montags hat der Unternehmer traditionsgemäss geschlossen. Am Dienstag kommt er ins Geschäft, stellt die Schaufensterbeleuchtung ab und fährt die Heizung runter. «Wenn kein Mensch in der Stadt ist, braucht es hier auch kein Licht.», sagt er zu seiner Frau kurz bevor sie den Laden verlassen. Dann entdeckt er an der Aussenseite seines Schaufensters einen über zwei Meter langen, tiefen Kratzer, den ihm jemand mit einem scharfen Gegenstand verpasst haben muss. Sein erster Gedanke: «Auch das noch.»

Doch ist dies für den Unternehmer an diesem Tag nicht das Schlimmste. Zu tief sitzt noch der Schock, dass er - wie viele andere in der Stadt - nach Entscheid des Bundes ab jetzt für unbestimmte Zeit schliessen muss. Wie sich später herausstellen wird: für acht lange Wochen.

«Anfangs schien das Virus noch so weit weg zu sein.»

Das Coronavirus erfasste die ganze Welt und auch um Basel machte es keinen Bogen. «Anfangs, beim Ausbruch der Erkrankung in China, schien das ganze Thema irgendwie so weit weg zu sein. Wir glaubten nicht, dass es uns in irgendeiner Form treffen könnte.» Doch dann kam Italien. Dann der Lockdown in der Schweiz. Und die Schliessung seines Ladens. Auch mit seinen Ferien war es plötzlich vorbei: «Ich stand noch im Geschäft mit Kundschaft, als das Telefon klingelte und meine Frau sagte, dass unsere Skiferien dieses Jahr annulliert seien – das Skigebiet hatte dicht gemacht. Ich wurde kreidebleich. Konnte es überhaupt nicht glauben.»

Coronavirus & Lockdown: Vom Umsatz blieb nicht viel übrig

Nein, das «2010» im Namen «Gramophone 2010» steht nicht für das Jahr der Eröffnung: «Es war ein Fantasiename, der damals natürlich möglichst futuristisch klingen sollte. Schliesslich gründete mein Vorgänger den Laden 1986 und das Jahr 2010 konnte sich noch kein Mensch richtig vorstellen.», so Graf. 1987 wurde er schliesslich selbst zum Geschäftsführer. Seit 1996 gehört «Gramophone 2010» voll und ganz ihm. Die treibende Kraft des Geschäftes hochwertiger Hi-Fi-Technik war er jedoch bereits von Anfang an und ist es noch immer – seit nunmehr 33 Jahren. «Unglaublich, wie die Zeit vergeht.», sagt er nachdenklich. Den Theaterplatz wie man ihn heute kennt, kann man sich ohne den sympathischen Klang-Profi mit der rauen Stimme kaum mehr vorstellen. Er gehört heute einfach zu Basel.

Der Lockdown entzog dem Geschäftsmann jedoch fast den Boden unter den Füssen. Der Umsatz sank auf etwa 10 bis 20 Prozent des Normalzustandes herab: «Ich wälzte mich nächtelang im Bett und machte mir Gedanken, ob meine Frau und ich so nun überhaupt bestehen können. Die Liegenschaftsverwaltung kam zwar ein wenig entgegen und ich durfte die Miete zwei Monate lang aussetzen. Doch dann muss ich sie trotzdem nachzahlen. Wie ich das schaffen soll, ist mir noch nicht ganz klar.», sagt Graf.

Gewerbeverband Basel-Stadt hilft: «Beim Lesen der Zusage kamen mir die Tränen.»

Den Antrag auf den Zustupf des Gewerbeverbands im Rahmen vom Projekt Basel schafft(s) zämme, welches von der Basler Kantonalbank und anderen Partnern ins Leben gerufen wurde, füllte er ohne grosse Hoffnungen aus. «Ein Freund sendete ihn mir. Ich dachte am Anfang – ich bin ja bei Weitem nicht der Einzige, der das Formular einreicht. Wieso sollten sie ausgerechnet mich bei diesen Auszahlungen berücksichtigen?» Als dann jedoch die Zusage über die Unterstützung von 4000 Franken in sein Postfach flatterte, kamen ihm die Tränen: «Als ich das Schreiben in der Küche las, konnte ich es nicht fassen. Es war irgendwie ein Hoffnungsschimmer für mich. Ich bin denen, die das möglich gemacht haben, sehr dankbar.»

Montags ist bei Urs Graf Ruhetag. Wenn er jedoch am Dienstag, dem 12. Mai die Türen seines Geschäftes wieder aufschliesst, wird es für ihn etwas ganz Besonderes sein: «Der 12. Mai ist mein Geburtstag. Und es ist das schönste Geburtstagsgeschenk für mich, dass ich an diesem Tag wieder öffnen darf.», sagt er gerührt.

Urs Graf (64), Basel:

«Es ist das schönste Geburtstagsgeschenk für mich, dass ich an diesem Tag wieder öffnen darf.»

Hochstehende Hi-Fi als Leidenschaft: Ton ist nicht gleich Ton

Woher kommt eigentlich die Leidenschaft für gute Hi-Fi? «Musik ist nicht gleich Musik und Ton ist nicht gleich Ton. Das Ganze lebt  zu einem grossen Teil auch von der Wiedergabetechnologie.», erklärt Graf. Und die persönliche Beratung – die war ihm während den ganzen Jahren besonders wichtig - bis heute. Er ist überzeugt: «Was hochstehende Hi-Fi eigentlich für einen Unterschied macht, kann man live bei mir erleben. Alles andere wäre nur so daher gesagt.», versichert Graf. Dabei bedeutet Qualität für ihn nicht automatisch ein hohes Preisniveau. «Wir haben auch bezahlbares Equipment, welches einen viel besseren Klang produziert, als all diese Discounter-Anlagen zusammen.», erklärt der Geschäftsmann. «Wer durch die ausfallenden Auslandsferien in diesem Jahr noch den einen oder anderen Rappen übrig hat, kann sich überlegen, das eigene Zuhause akustisch auf das nächste Level zu bringen.», fügt er an. «Einfach die eigene Lieblingsmusik mitbringen. Ich führe jedem den Qualitätsunterschied an verschiedenen Wiedergabegeräten live vor.»

Auf das Wichtigste im Leben besinnen

Sich selbst und anderen Basler Unternehmerinnen und Unternehmern wünscht Urs Graf für die kommende Zeit viel Kraft und Durchhaltewillen. Auch hofft er auf hilfreiche Konzepte seitens der Politik: «Ich bin zuversichtlich, dass unsere Regierung nun Massnahmen ergreift, welche den Geschäften in der Stadt den Konkurs ersparen werden. Doch wie es sich entwickelt, werden wir dann sehen. Natürlich ist die Situation aber - vor allem für Kulturschaffende, Musiker & Co. - äusserst ernst. Da stehen ganze Existenzen auf dem Spiel.»

Was der Musik- und Technikliebhaber nach dem Lockdown anders machen wird? «Mich wieder mehr auf das Wichtigste besinnen: Hauptsache, die Liebsten bleiben gesund. Die Krise hat die Wichtigkeit der Nächstenliebe wieder in den Vordergrund gerückt – da, wo sie im Grunde auch hingehört. Darüber bin ich sehr froh. Und irgendwie auch wirklich dankbar.»

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Ekaterina Cámara

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