Empfohlene externe Inhalte deaktiviert
An dieser Stelle finden Sie ergänzende externe Inhalte, Videos von YouTube oder Podcast-Episoden. Um diese Inhalte zu sehen, akzeptieren Sie bitte Funktions- und/oder Marketing-Cookies. Damit erklären Sie sich einverstanden, dass Daten an Drittplattformen übermittelt werden können.
Cookies akzeptierenFeuerschiffe haben ein wildes Leben. 55 bewegte Jahre warnte die «Gannet» (zu dt. Tölpel) andere Schiffe vor schroffen Klippen. Doch bei übler Sicht und hohem Seegang halfen weder ihr 12 Meter hoher Leuchtturm noch die rote Warnfarbe. Oft brauchte es die vollen 42 Meter Körpereinsatz, damit Schiffe in Not nicht vor Irlands Küste zerschellten. Schaurige Narben und eine tiefe Kerbe im Schiffbauch zeugen von heftigen Kämpfen. Gut, hat das Feuerschiff eine dicke Haut, fast zwei Zentimeter besten Stahl. Macht 550 Tonnen Lebendgewicht.
Aber dann, 2009, wurde die stolze Retterin ersetzt durch seelenlose Radarbojen. Der technische Wandel degradierte das Feuerschiff zum Alteisen. Immerhin bewahrte ihr Qualitätsstahl die «Gannet» davor, sofort geschreddert zu werden. Die Schutzhaut hatte Wert. Den Preis musste zahlen, wer sie von der Schrottwerft holen wollte. «Was für eine Schande für eines der letzten Feuerboote seiner Art!», empört sich Andy Wyss.
Wyss ist der neue Kapitän der «Gannet». Der Emmentaler und das irische Boot – beide Baujahr 1954, beide voller Feuer und grossartiger Geschichten. Gemeinsam brechen sie gerade zu neuen Abenteuern auf, hier zum Kiesplatz der Zwischennutzung Holzpark Klybeck.
Aufbruch zu neuen Ufern
Geplant war das ganz anders. Eigentlich wollte Wyss als pensionierter Rheinkapitän nur seinen Ruhestand sinnvoll gestalten. Dazu stellte er drei rote Fracht-Container zwischen die anderen bunten Projektbauten auf der Zwischennutzung Klybeck. Wyss beschriftete sie mit «Les Ateliers» und installierte darin Werkbänke zur Miete: «Zum Steinehauen, Malen, Restaurieren und Philosophieren.»
Doch nun sitzt der rüstige Rheinrentner auf dem Dach eines Atelier-Containers, das ihm als Terrasse dient. Sein Blick wandert zur «Gannet», die vor ihm im Kiesbett liegt. Wyss schüttelt kurz den Kopf, als könne er noch immer nicht glauben, was da rot in der Abendsonne leuchtet, und schnauzt in Richtung von drei zufrieden grinsenden Köpfen, die neben ihm auf der Terrasse sitzen: «Doch dann kamen die mit dieser Schiffsidee!»
Die, das ist die «Gannet»-Crew: «Funkerin» Katja Reichenstein, «Navigator» Tom Brunner und «Steuermann» Roy Bula. Und genau so wie die vier jetzt auf Wyss’ Terrasse sitzen – inklusive des Feierabendbiers –, entstand zwei Jahre davor die Idee, ein Schiff auf das Gelände zu holen.
Ein Schiffbruch weckt den Traum
«Ursprünglich wollten wir hier Holzhallen bauen», holt Reichenstein aus, «damit wir auch im Winter Kulturveranstaltungen hätten machen können.» Ein Ganzjahresbetrieb war das Ziel, als sie und Brunner 2014 die Projektleitung der Zwischennutzung übernahmen, Bula stiess knapp ein Jahr später dazu. Doch aus den Hallen wurde nichts. Es gab Einsprachen aus der Nachbarschaft und andere Widerstände. Das Projekt erlitt nach vier Jahren Schiffbruch. Ein massiver Downer. Denn inzwischen hatten sie die steinige Brache mit vielen anderen Händen mit Wasseranschlüssen, Strom und Kanalisation versehen und eine bunt blühende Zwischennutzung mit diversen Kultur-, Genuss- und Gastroprojekten entwickelt. Doch das Gelände lebte nur in der wärmeren Saison. Reichenstein: «Ohne Perspektive auf einen wintertauglichen Kulturschuppen wollten wir den damaligen 5-Jahres-Vertrag nicht verlängern.» Zu sehr zehrten die Brotjobs, welche die Herzarbeiten am Hafen finanzierten. Fünf weitere Jahre ohne Ziel hätten sie gebrochen.
Die Feierabendrunden im Sommer 2018 waren dementsprechend geprägt von Galgenhumor und verrückten Fantasien für den finalen Fanal am Hafen. Dann kenterte das Baggerschiff Merlin mehr oder weniger direkt vor ihrem Gelände – und auf der Terrasse keimte die Idee eines Kulturkahns. Die Crew beschloss: «Muss die Merlin auf den Schrottplatz, holen wir die!»
Das Schiff blieb im Wasser. Doch beseelt von der Bieridee, boten sie um die MS Lällekönig, die zum Verkauf stand. Das Personenschiff ging nach Deutschland, die Träume der Crew wanderten weiter nach England. Nach vielen Nächten Internetrecherche mit Bildern von Tausenden von Masten und Schornsteinen stiess Brunner auf die «Gannet»: «Als ich den roten Leuchtturm sah, wusste ich: Das ist unser Schiff!»
Reichenstein war skeptisch: «Ein 42 Meter langes Hochseeschiff mit Leuchtturm von England nach Basel holen» Trotzdem stimmte sie einer gemeinsamen Besichtigung zu und holte Wyss als Fachmann mit an Bord: «Ich dachte, mit dem Schiff vor Augen und seiner Expertise wird allen klar: Das ist nur ein Traum.» Brunner ergänzt mit bübischem Schalk: Doch der Kapitän attestierte dem Feuerschiff beste Verfassung: Und plötzlich träumten wir alle!»
Heavy Metal
Ein Tölpel lernt Fliegen
Zurück in der Realität bedeutete dies vor allem: planen, rechnen, hoffen und spekulieren.
Technisch: Das Feuerschiff hat keinen Antrieb. Es brauchte Schlepperschiffe über den Ärmelkanal und den Rhein hoch. Doch Tiefgang wie Turm machen Flüsse eigentlich unschiffbar. Brunner berechnete, dass der abgesägte Leuchtturm aufrecht stehend im Schiffsrumpf versenkt werden konnte. So unterbot man die tiefsten Rheinbrücken theoretisch um ein paar Zentimeter. Wyss berechnete den minimalen Rheinpegel, damit der 550-Tönner überall eine Handbreite Wasser unter dem Kiel hat. 3,10 Meter brauchte es bei der Schlüsselstelle in Kaub bei Koblenz.
Politisch: Von der Stadt Basel brauchte man schnell die Sicherheit, dass man so ein Schiff hier setzen darf und dass die Zwischennutzung verlängert werden kann, damit sich die Investitionen lohnen. Brunner: «Dank den Gerichtsentscheiden zum Holzhallenprojekt wussten wir immerhin, zu welchen Bedingungen ein Kulturbetrieb möglich ist.»
Finanziell: «Im Schiff steckt kein Rappen aus Stiftungs- oder Steuergeldern! », wehrt sich Reichenstein gegen oft gehörte Gerüchte. Sie und Brunner haben dafür eine Hypothek bei der BKB aufgenommen. «Andere Ehepartner leisten sich ein Einfamilienhaus, wir haben dem Herrn bei der Bank unseren Traum vom Kulturschiff erzählt. Zum Glück hat er unsere Begeisterung und die Idee verstanden. Vielen Dank für die unkomplizierte Zusammenarbeit!»
Welches Problem zuerst gelöst war, weiss nicht mal Projektchronist Bula. Er dokumentiert das neue Leben der «Gannet» von der Idee über die Reise bis zur Eröffnung als Kulturschiff mit der Kamera. Dafür erinnert er sich, wie es in der Rotterdamer Werft plötzlich schnell gehen musste: «Wir rechneten mit sechs Monaten schrauben, schweissen und trennscheibelen, um die «Gannet»für den Trip nach Basel ready zu machen. Dann befahl der Kapitän bereits in der Hälfte: Wir müssen los!» Wyss: «Der Frühling 2019 bot ein kurzes und äusserst glückliches Zeitfenster für unsere Fahrt. Die beiden Jahre davor hatte der Rhein nie genügend Tiefgang.»
Dank ein paar Schifffahrts-Tricks zum Zentimeterschinden und etwas Glück, wie fehlenden Blechen in der kaputten Brückenverkleidung bei Chalampé, schaffte es die Gannet» ungeschoren nach Basel. Das schwierigste Teilstück nach über 1000 Kilometern Fahrt waren aber die letzten 30 Meter – durch die Luft. Um den 550 Tonnen schweren Tölpel fliegen zu lassen, brauchte es den grössten Raupenkran Europas. Der weilte für den Bau einer Autobahnbrücke glücklicherweise gerade in der Schweiz. Bula: «Die «Gannet» wurde die schwerste Last, die je mit einem solchen Kran herumgefugt wurde.»
Gelandet, um zu bleiben
Seit sie im Klybecker Kiesbett gelandet ist, wird die «Gannet» für ihren neuen Einsatz als Kulturschiff klargemacht. Schweissen, rausreissen und «Rost klopfen wie blöde», resümiert Bula den Anfang: «Der rostige Teint war nach dem zweiten Duschgang weg, doch der Metallgeruch blieb kleben.»
Der Bauch ist mittlerweile ausgehöhlt und eine Bühne eingebaut, das Deck dient künftig als Bar- und Restaurantbetrieb, bald wird Eröffnung gefeiert. Längst nicht alles ist ready, aber die Crew lacht in corpore: «Alles Details!» Nach diesen zwei Jahren macht sie nichts mehr nervös. Herzklopfen bereitet nur die Vorfreude – und wahrscheinlich lässt auch Stolz die Brust anschwellen?
Diese Frage macht die Runde wortkarg, fast verlegen. Reichenstein, Brunner und Bula können mit dem Begriff nichts anfangen. Stolz klingt für sie zu sehr nach Schweizer Fahne und Rütlischwur, nach Pathos und Ehre. Während sie nach Erklärungen suchen, die mehr wie Entschuldigungen klingen, übernimmt Kapitän Wyss das Ruder: «Natürlich bin ich stolz! Schaut mal dieses prächtige Schiff an! Ich bin stolz auf diese Teamleistung von unterschiedlichen Köpfen. Dass wir diese verrückte Idee umgesetzt haben, dass dieses Hochseeschiff nun hier auf Kies liegt – das ist eine unglaubliche Geschichte voller Superlative!»
Auf die Frage, ob so ein Sommernachtstraum der Superlative für eine befristete Zwischennutzung nicht etwas unverhältnismässig sei, finden auch die anderen drei wieder klare Worte. Brunner: «Mit dem Schiff haben wir etwas gesetzt, das den Holzpark Klybeck überdauern wird.» Bula erklärt, weshalb: «Selbst wenn hier mal Wohnungen gebaut werden: Jeder Planer wird so ein symbolisches Objekt stehen lassen. Das Schiff schafft städtebaulichen Wert, der den Freiraumgedanken in die Zukunft trägt!»
Schon jetzt hat das Schiff Strahlkraft für den Freiraum am Hafen, findet Reichenstein: «Ohne das Projekt wäre die Zwischennutzung nicht vorzeitig bis 2029 verlängert worden.» Wyss ergänzt: «Die «Gannet» verleiht dem Gelände Identität und ist ein Brückenbauer für neue Besucher. Kinder wie ältere Menschen bleiben nun beim Flanieren auf dem Beton-Boulevard bewundernd stehen und suchen das Gespräch.» Selbst im Clubhaus der alten Rheinschiffer habe die Meinung gedreht: «Da liefen Wetten, dass wir randständigen Hippies niemals ein Hochseeschiff den Rhein hoch bekommen.» Auf diese Zweifler ist niemand böse. Reichenstein: «Ich hoffe, auch die Rheinschiffrentner kommen mal auf Bier oder Kaffee. Die «Gannet» soll allen offen stehen.»
Ein Traum nimmt Fahrt auf
Die Crew ist einfach glücklich. Nach sechs Jahren auf dem Klybeckquai klappt es endlich mit der ursprünglich geplanten Ganzjahresnutzung. Und langsam schlüpfen die vier in neue Funktionen: Bula betreut das Booking der Liveacts: «mit Schlagseite für alternative Indiemusik», Brunner kümmert sich um elektronische Sounds: «mehr Sauladen als chic, wie früher in der Lady-Bar», Reichenstein hat bereits erste Tanzprojekte an Bord geholt und freut sich, wenn das Hafenradio endlich aus dem Leuchtturm sendet.
Reichenstein, Brunner und Bula hoffen, dass im Betrieb auch der eine oder andere Batzen für die Crew hängen bleiben wird, damit sie ihre Pensen als Pflegefachfrau, Studiotechniker und Journalist reduzieren können. «Nur mir als Rentner kann das Geld egal sein», freut sich Wyss. Dabei könnte er bestens teure Kapitänsdinner anbieten, wo man genüsslich seinen Anekdoten lauschen kann. «Gästebetreuung?» Der Kapitän winkt ab: «Ich kümmere mich um die «Gannet». Es gibt auch an Land immer was zu tun. Gerade hat wieder so ein Loser ein Graffiti an den Bug geschmiert!»