Wer sich am Morgen in der Früh zwischen 7:30 und 9:15 Uhr am Lindenberg 21 einfindet, bekommt ein stärkendes Frühstück ausgehändigt. Bestehen tut es aus einem Kaffee im Becher, Brot, Butter, Konfitüre. Ab und zu gibt es auch etwas Warmes. Und: es kostet nichts. Früher konnten die Gäste sich in die hiesige Stube setzen und in Ruhe und bei einer netten Konversation essen. Seit der Pandemie kriegt man seine Mahlzeit jedoch nur noch am Fenster zum Mitnehmen – take-away. So sind nun mal die neuen Regeln, zu denen Corona Gäste und Mitarbeitende zwingt.
Wenn der Tag sich zwischen 17:15 und 19:15 Uhr langsam dem Ende neigt und die Schlange mit den Abstandsmarkierungen vor der Gassenküche erneut länger wird, gibt es eine grosse Portion Suppe, dazu Brot und Tee mit Süssgebäck. Auch das ist gratis. Wer will, bekommt für drei Franken auch ein vollwertiges warmes Abendessen – aktuell ebenfalls in einer Take-Away-Papiertasche.
Corona veränderte die Gassenküche
«Ja, die Corona-Pandemie hat bei uns sehr viel verändert. Die Gesundheit geht vor. Deshalb halten wir natürlich alle Regeln ein.», sagt Mitarbeitende Silvia (47).
Ganz ohne Sitzmöglichkeit steht man als Gast heute zum Glück trotzdem nicht da. Denn als Übergangslösung lassen sich die Mahlzeiten im grossen Saal der Pfarrei St.Clara vis-a-vis der Gassenküche einnehmen. Hier ist im Gegensatz zur Gassenküchen-Stube genug Platz für Social Distancing. Auch wenn nicht alle 160 Gäste, für die man hier täglich kocht, aufs Mal Platz finden. Ein wenig traurig ist Silvia schon: «Wir und unsere Gäste vermissen unsere schöne gemütliche Stube sehr.»
Silvia arbeitet seit vier Jahren in der Gassenküche, kocht und kümmert sich um die Freiwilligen. «Es ist schon ein grosser Unterschied. Seit Corona können wir das Essen nicht mehr wie gewohnt an unseren Stuben-Tischen servieren. Dank der Pfarrei bekommen wir unsere Gäste aber doch noch an einen Tisch im Warmen. Vor allem weil jetzt der Winter kommt, sind wir äusserst froh darum.»
Weniger Beisammensein – mehr Unsicherheit
Ganz wie früher ist es jedoch nicht. Durch die Pandemie leidet auch die Beziehung zu den Menschen, die herkommen und sich – manchmal sogar mehr als nach den Mahlzeiten – nach gemütlichem Beisammensein und Kommunikation sehnen. «Wir haben viel weniger Möglichkeiten uns mit unseren Gästen, auszutauschen. Das vermissen wir.», sagt Silvia. Im Saal der Pfarrei läuft alles nach den nötigen Regeln: Es riecht nach Desinfektionsmitteln. Angestellte und freiwillige Helfer tragen Masken. «Die Atmosphäre ist heute ganz anders und es herrscht bei unseren Gästen insgesamt mehr Unsicherheit. Für viele hier sind wir im Grunde die einzigen Ansprechpartner im Leben. Und es ist für sie einschneidend, wenn diese Kontakte nun wegfallen. Denn der Austausch fehlt.», sagt Silvia.
Silvia arbeitet zur Zeit an vier Tagen in der Woche in der Gassenküche. Sie studierte Kunst, arbeitete als Cutterin und auch als Köchin in einem Gastrobetrieb. «Ich habe schon sehr viel Unterschiedliches gemacht im Leben. Das kommt nun in der Gassenküche zusammen.», erklärt die 47-jährige.
Die Arbeit in der Gassenküche erfüllt sie, doch es gibt auch schwierige Momente: «Als im Frühling der Lockdown angekündigt wurde, durften plötzlich alle Helfer, die älter als 65 Jahre alt waren, nicht mehr zu uns. Das den Betroffenen beizubringen war schwer. Sie waren sehr traurig. Wir haben zum Beispiel einen Gast, der seit über 30 Jahren freiwillig helfen kommt. Für unsere Gäste und die etwa 50 Freiwilligen gehört die Gassenküche halt einfach zum Leben dazu.»
«Viele Gäste kommen von der Notschlafstelle zu uns.»
Doch was sind es eigentlich für Menschen, die in die Gassenküche kommen? «Es sind sehr unterschiedliche Persönlichkeiten und jeder Gast ist einzigartig. Viele kommen von der Notschlafstelle. Manchen sieht man es aber überhaupt nicht an, dass sie bedürftig sind. Es gibt wirklich viel mehr Bedürftige in der Schweiz, als man meint.», erklärt Silvia und ergänzt: «Hierherzukommen hat auch viel mit Überwindung und Schamgefühl zu tun. Mit dem Eingeständnis sich selbst gegenüber, dass man Hilfe braucht. Das kann bei Weitem nicht jeder. Aber wir animieren alle Bedürftigen dazu, hier keine Scheu zu zeigen.»Basel – eine sehr soziale Stadt
In der Gassenküche freut man sich über jeden. Niemand wird ausgeschlossen, schräg angeschaut oder ausgefragt. «Wir haben auch Gäste, die aufgrund ihrer Lage psychische Probleme entwickelt haben. Wir tun dann alles, damit ihnen geholfen werden kann. Denn viele wissen gar nicht, an wen sie sich in ihrer Lage wenden können. Wir kennen uns mit den Basler Hilfsorganisationen und Einrichtungen hingegen sehr gut aus. Basel hat zum Glück sehr viele davon und ist – im Gegensatz zu vielen anderen Städten – sehr sozial.»
Geborgenheit und warme Kuschelsocken
Trotz der neuen Umstände aufgrund der Corona-Bestimmungen tut die Gassenküche Basel ihr Bestes, damit die Gäste sich auch weiterhin geborgen fühlen. «Wir sind damit beschäftigt, uns für Weihnachten vorzubereiten. Die hier sind mit Liebe gestrickt», sagt Silvia. Sie zeigt auf bunte Kuschelsocken, die von den Mitarbeitenden bereits mit Schokolade und Essbons gefüllt werden. «Die verteilen wir dann an unsere Gäste – sie freuen sich jedes Jahr so sehr darüber!».«Wenn ein Stammgast plötzlich gar nicht mehr auftaucht…»
Was Silvia in ihrem Alltag in der Gassenküche am meisten berührt? «Wenn sich Dir jemand, der monatelang fast täglich zum Essen kam, plötzlich öffnet und seine Lebensgeschichte erzählt.», sagt sie ergriffen. «Oder wenn ein Stammgast plötzlich gar nicht mehr auftaucht. Möglicherweise heisst das, dass es bei ihm jetzt bergauf geht und er oder sie unsere Hilfe nicht mehr braucht. Es kann etwas Positives bedeuten. Tut es aber leider nicht immer.» Silvia gibt zu: Stirbt ein Gast, geht es ihr sehr nahe. «Ich denke dann oft daran. Denn man baut zu jedem eine Beziehung auf und die Trennung fällt schwer. Nun ja, das passiert leider ab und zu. So ist nun mal das Leben.»
Neue Location 2021: Neuer Wind in den Segeln der Gassenküche
Doch nebst traurigen Momenten gibt es auch neue Hoffnung für alle, denen die Gassenküche am Herzen liegt: Schon bald zieht die Gassenküche nämlich nach einem kurzen Innenumbau an eine neue Adresse - in den von der Pfarrei St. Clara zur Verfügung gestellten Saal St. Joseph an der Markgräflerstrasse 14a.
Leiter Andy Bensegger freut sich auf die neue Location: «Es wird eine neue 'Corona-kompatible' Gassenküche ab etwa Mitte Februar geben. Das Essen wird weiterhin, wie auch heute, im Begegnungszentrum Union an der Klybeckstrasse zubereitet. Die Anlieferung wird künftig also einfacher und der Weg kürzer. Unsere vielen Stammgäste, wir vom Team und auch unsere freiwilligen Helferinnen und Helfer können es kaum erwarten. Die Take-Away-Essensabgabe seit März war zwar eine Möglichkeit, den Hunger zu stillen, aber die 'gute Stube', wo sich Gäste und Mitarbeitende auch austauschen können, hat allen sehr gefehlt. Gerade auch wegen den zu erwartenden Kosten für den Umzug und den Betrieb am neuen Standort sind wir sehr dankbar für jede einzelne Spende.»
An dieser Stelle wünschen wir der Gassenküche ganz viel Erfolg in ihrem neuen Quartier und ganz viel Freude an der neuen Stube für Gäste, Mitarbeitende und Freiwillige.
Darüber freuen sich die Gäste der Gassenküche am meisten:
Die Gassenküche Basel: Seit 30 Jahren ein sicherer Ort
Seit 30 Jahren steht die Gassenküche allen Menschen offen, die aus unterschiedlichen Gründen in Not geraten sind. Bei vielen sind es Armut, Wohnungslosigkeit, Einsamkeit, Sucht oder Krankheit. Viele Gäste kommen seit Jahren täglich für eine Mahlzeit und ein Gespräch. Die Gassenküche ist als Verein organisiert. Geführt wird sie von einem professionellen Team unter der Leitung von Andy Bensegger. Das Team wird durch ca. 50 freiwillige Helferinnen und Helfer verschiedener Altersgruppen, sozialen Schichten und beruflichen Hintergründen unterstützt.
Die Gäste arbeiten mit
Die Gassenküche arbeitet nicht nur für ihre Gäste, sondern auch mit ihnen. Grosse Bedeutung hat die betreute und mit einem kleinen Entgelt entschädigte Mitarbeit der Gäste. Die Mithilfe bietet den Gästen die Möglichkeit einer minimalen Struktur und die Chance einer Arbeit nachzugehen. Sie fördert das Selbstbewusstsein der Gäste; ihre Mitarbeit wird geschätzt. Dabei ist Effizienz nicht erste Priorität.