Ein Lichterschweif wirbelt über das Käppelijoch, als würde ein Lausbub in dieser bitter kalten Januarnacht mit einer der Adventsbeleuchtungen Fahnen schwingen. Als die Lichterpunkte Luft holen und der Kondensnebel den Blick freigibt, erkennt man: Hier wirbelt Chris Harmat in einem mit LED-Lichtern besetzten Outfit. «Der Overall beengt mich», mault er Richtung Fotograf. Doch den Parkour-Profi stoppen weder Kälte noch Anzüge – und schon gar keine gemauerten Hindernisse der Basler Altstadt. Ja, mit jedem Flip, jedem Spin von diesen Startrampen bessert sich Harmats Laune.
«Solche Sprünge auf Beton sind erst seit Kurzem wieder möglich», erklärt er beim Interview in der Wärme, «2017 musste ich wieder fast bei null beginnen.» Zehn Jahre Parkour-Sport forderten ihren Tribut. Knöchel und Bänder seiner Fussgelenke mussten arthroskopisch rekonstruiert werden. Harmat kommentiert selbstkritisch: «Früher habe ich nicht immer genug aufgepasst und unnötig die Gelenke strapaziert.» Dann streift er die Socken runter auf die Sneakers, streichelt sanft über die Narben und diagnostiziert ganz zufrieden: «Das Gewebe braucht noch etwas, aber die Gelenke fühlen sich wie neu an!»
Mut baue ich über Geduld auf – mit Training, Erfahrung und dem richtigen mentalen Setting.
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Cookies akzeptierenWeit gravierender als die körperlichen Gebrechen war für Harmat jedoch der zeitgleiche Rückzug seines Parkour-Partners Kevin Fluri. Harmat holt tief Luft, obwohl der Puls von der nächtlichen Aktion längst wieder unten ist. «Kevin brachte mich 2007 überhaupt zu diesem Sport, mit Videoclips verrückter Typen, die über Treppen und von Dächern springen.» Das wollten die beiden auch und trainierten fortan jede freie Minute. Parkour war perfekt für den Bewegungsdrang von Harmat, dem während der Schulzeit eine ADHS-Diagnose gestellt wurde. Andererseits leidet er unter Höhenangst. «Deswegen hatte mich manchmal der Mut verlassen», erinnert sich Harmat an die Anfänge. «Etwa als unser erster Mentor Steven Käser locker oben auf der Sierra-Plastik beim Theater Basel balancierte, während ich mich kaum traute, auf der Kante zu sitzen.» Harmat trainierte hart, konfrontierte sich mit Wand und Angst. «Mut baue ich über Geduld auf – mit Training, Erfahrung und dem richtigen mentalen Setting.» Zwei Jahre später sprang er locker auf die Skulptur, tänzelte leichtfüssig von Platte zu Platte – und wurde in Berlin 2009 Parkour-Weltmeister in der Speed-Kategorie.
Den Titel taxiert er als Teamleistung: «Ohne Trainingspartner auf Augenhöhe wäre ich nie auf das Level gekommen. » Und im Duo sollte es auch weitergehen. «Der Erfolg beflügelte unsere Träume. Wir entschieden uns, gemeinsam Parkour-Profis zu werden. Das war in meiner bisherigen Parkour-Karriere der mutigste Schritt.» Dann schiebt er mit einem Grinsen nach: «Und nicht der cleverste – meinten damals ein paar Menschen im Umfeld.» Denn Harmat brach für die Parkour-Karriere seine Lehre als Elektroinstallateur ab, nur ein Jahr vor dem Abschluss.
Der Neustart hat Harmat im Vergleich zu früheren Treffen spürbar reifen lassen. Er hat eine Ausbildung zum Fitness- und Bewegungstrainer gemacht, trainiert gezielter, auch mental, lebt gesünder und spricht viel von nachhaltigem Umgang mit dem Körper. Mit 27 Jahren gehört er in der Szene zu den älteren Athleten, ist aber noch lange kein Alteisen. Zehn Jahre nach seinem ersten Titel wurde er 2019 in Hiroshima erneut Parkour-Weltmeister in der Kategorie Speed – und am Saisonende sogar Gesamtweltcupsieger. «Meine Routine hat sicher geholfen», begründet Harmat sein konstant hohes Niveau bei Wettkämpfen. «Ich gehe die Runs heute ruhig an und versuche das Risiko möglichst klein zu halten.»
Bei jungen Athleten beobachtet er jedoch eine zunehmende Risikobereitschaft, wenn die besten Tricks gewertet werden: «Ich glaube nicht, dass sie immer die volle Kontrolle behalten. Nur um zu gewinnen, riskieren sie bei ihren Runs Verletzungen.» Harmat hat schon üble Unfälle mitbekommen, darunter einen Genickbruch. Der Athlet habe sich glücklicherweise bestens erholt und sogar den Sprung zurück an die Spitze geschafft. «Sein Comeback hat mir bei der eigenen Regeneration Mut gemacht», so Harmat, «trotzdem hoffe ich nicht, dass unsere Sportart endet wie das Kunstturnen, wo der statistische Peak der Athleten bei 22 Jahren liegt.»
Der Traum wird wahr. Wir bauen ein professionelles Trainingscenter für Parkour- und Ninja-Sport.
Wie schwer die Jungen zu mässigen sind, erlebt er als Trainer einer 12-Jährigen: «Sie springt sichere Flips vom Bett und drängelt, endlich auf Beton zu springen. Geduld? Das Wort kennt sie nicht!» Frauen sind im Parkour noch immer eine Minderheit. Umso mehr freut sich Harmat über dieses Talent und erkennt sich in diesem sturen, ehrgeizigen Kopf manchmal selbst wieder. Auch, weil sie nicht viel von der Schule hält. Wobei Harmat hier korrigiert: «Diese Lebenslektion habe ich begriffen: Egal, ob man Gehirn oder Körper trainiert, man spürt gegenseitig positive Auswirkungen.» Solche Grundsätze will er als Trainer vermitteln. Genauso, dass hinter Mut oft Kontrolle steckt, die man durch Geduld und viel Erfahrung aufbaut.
Sein Erfolgsrezept scheint nicht nur im Sport aufzugehen. Läuft alles wie geplant, kann der Parkour-Athlet bald in einer Halle trainieren. «Der Traum wird doch noch wahr», freut sich Harmat, «wir bauen ein professionelles Trainingscenter für Parkour- und Ninja-Sport.» Die Halle soll in den nächsten 1–2 Jahren entstehen.
Sogar das Sportamt Basel unterstützt ein Leistungszentrum für die Athleten, da Parkour 2024 olympisch wird. Austragungsort der Olympischen Spiele wird Paris sein, das Mekka des Parkour. «Mein Training dafür hat schon begonnen», freut sich Harmat und ergänzt mit dem Selbstvertrauen des derzeit Ranglistenersten im Speed-Parkour: «Ich bin optimistisch. Und wenn man den Leistungsstatistiken glauben darf, habe ich noch eine lange Karriere vor mir.»
Text: Olivier Joliat
Fotos: aviaticfilms
Parkour bezeichnet ...
... eine dynamische Fortbewegungsart, bei der man nur mit eigenen Körperfähigkeiten möglichst effzient und elegant von Punkt A nach Punkt B gelangt. So gestaltet der Parkour-Läufer seinen eigenen kreativen und sportlichen Weg durch den urbanen oder natürlichen Raum.
Die Geschichte des Parkour geht auf das «natürliche Turnen» mit individuellen Bewegungen in den 1920er-Jahren zurück. Die moderne Form im urbanen Umfeld entwickelte David Belle ab 1980 in den Vororten von Paris. Mittlerweile hat sich die junge Sportart in verschiedene Richtungen entwickelt. Für die einen ist es körperliche Kunst ohne Wettkämpfe, andere messen sich bei internationalen Wettkämpfen in den zwei Kategorien Speed und Style.
Obwohl internationale Sponsoringgrössen die Topanlässe organisieren, kann kein Profi allein von Preisgeldern leben. Während die US-Athleten viel für Film- und Show-Stunts gebucht werden, etablieren sich in Europa die Ninja-Warriors-Serien zur willkommenen Einnahmequelle. Diese am TV spektakulär inszenierten Hindernisläufe sorgen für frische Nachwuchssportler/- innen und neue Trainingshallen.
Parkour in Basel
Die Jugend für Parkour zu begeistern, ist Herzenssache von Chris. Schon zu Beginn seiner Karriere gründete er mit Partner Kevin Fluri die World’s Parkour Family. WPF wurde international schnell ein Begriff dank Sommercamps, bei denen lokale Kids eine Woche lang mit internationalen Cracks durch die Stadt springen. Heute trainieren beim WPF unter der Woche rund 60 Jugendliche und 20 Studierende. Mehr Infos unter worldsparkourfamily.ch.