Sein oder #shine

Sie ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft – die Selbstdarstellung, inzwischen ein lukratives Geschäft. Die Schönheitschirurgie boomt und Influencer haben sich als wichtige Eckpfeiler in Marketingkonzepten verankert. Was steckt hinter der Fassade? Wir haben uns umgesehen und Spezialisten befragt.
Am 14.08.2020 in Von Basel. Für Basel.

Influencer

Sie schummeln, verkaufen ihre Seele und können im Grunde genommen nichts. Wer sein Leben als Influencer verdient, hat es zu leicht. So zumindest die gängige Meinung. Kreative Influencer haben aber einiges erreicht, worauf sie – zu Recht – stolz sind.

Die Chancen, dass der Begriff «Influencer» mit der Grippe in Verbindung gebracht wird, stehen ziemlich hoch. Denn die Medien machen sich einen Spass daraus, diese Gruppe von Kreativen mit einer Seuche gleichzusetzen. Überraschend ist diese negative Berichterstattung nicht, denn Aufmerksamkeit ist ein stark umkämpftes Gut. Schwindende Leserzahlen und die Verschiebung der Werbebudgets zugunsten von Onlinemedien und Social Media prophezeiten das Ende der Massenmedien. Je mehr Influencer an Macht und Einfluss gewannen, desto mehr wurden sie zu einer Gefahr – und somit zur Zielscheibe der traditionellen Medien. Bei dieser Allgegenwärtigkeit von Likes, Klicks und Followern sind eine kritische Auseinandersetzung mit digitalen Realitäten und ein gesundes Selbstwertgefühl der Mediennutzer wichtiger denn je.

Altes Prinzip, neuer Name

Influencer verstehen sich in erster Linie als Content Creators. Sie kreieren inspirierende Inhalte, die zur Meinungsbildung dienen. Dahinter steckt ein altes Prinzip: das des Markenbotschafters oder des Testimonials. Menschen schenken in der Regel den Meinungen von Drittpersonen mehr Glauben als klassischer Medienwerbung. Doch Content Creators brauchen keine traditionellen Massenmedien, um ihre Anliegen oder Produkte einer breiteren Masse präsentieren zu können. Denn sie haben ihre eigenen Kanäle mit teilweise enormer Reichweite.

Millionengeschäft

Influencer Marketing ist ein lukratives und stetig wachsendes Geschäft. In der Schweiz geht man von einem Marktvolumen von CHF 35 Mio. aus. Wie hoch die Gage eines Influencers ist, hängt von vielen Faktoren ab – nicht zuletzt von seiner Reichweite. In der Schweiz kann die Spannbreite pro Beitrag im vierstelligen Bereich sein. Die Authentizität und die Wirkung dieser relativ neuen Werbeform werden allerdings häufig infrage gestellt. Überraschend ist das nicht, denn bekannterweise können mithilfe von Bots und Automatisierungsservices Follower- und Engagement-Werte künstlich in die Höhe getrieben werden. Einem Report zufolge werden in der Schweiz lediglich 66% aller Schweizer Instagram-Profile von realen Personen betrieben. 40% der hiesigen Instagram- Nutzer wenden Methoden an, um ihre Followerzahl und ihre Engagement-Werte zu erhöhen. (Quelle: Influencer Report von HypeAuditor und der Kommunikationsagentur Farner)

Traumberuf Influencer?

Obwohl das Image der Influencer auf der einen Seite immer mehr leidet, wird die Tätigkeit von vielen Jugendlichen als Berufswunsch bezeichnet. Die Szene hat sich in den letzten Jahren stark professionalisiert. In der Schweiz gibt es sogar einige Influencer-Diplom-Lehrgänge. Eine solche Ausbildung umfasst unter anderem Fotografie und Videoproduktion, professionelles Texten, Bildbearbeitung, Marketing oder Medienrecht. Es lässt sich erahnen: Dahinter steckt viel mehr, als sich vor der Linse zu präsentieren. Recherche und Strategie, eine eigene Bildsprache und Ästhetik gehören genauso dazu wie atypische Arbeitszeiten.

Perfekte Scheinwelt Instagram

Neben Fake-Zahlen und der nicht einheitlichen Kennzeichnung von Werbung zählt die verzerrte Selbstdarstellung zu den grössten Schattenseiten der sozialen Medien. Fachleute warnen: Influencer würden zu unrealistischen Schönheitsidealen animieren und jugendliche Konsumenten müssten besser geschützt werden. Bei dieser Allgegenwärtigkeit von Likes und Followern, Schönheitsfiltern und Bearbeitungsprogrammen steigt die Sorge um Magersucht und Schönheitschirurgie. Eine kritische Auseinandersetzung mit der digitalen Realität und ein gesundes Selbstwertgefühl der Mediennutzer sind heute wichtiger denn je.

Influencer lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Viele dienen als positive Vorbilder: ob mit ihrer Body- Positivity-Bewegung, ihrer unbändigen Kreativität oder ihrem Mut, Neues auszuprobieren und Berufe mitzugestalten, die es bis anhin gar nicht gab.

Erfolgreiche Basler Influencer

Zeki Bulgurcu
Entertainer, Meme-Artist, Babo

«Swissmeme» // 886 000 Abonnenten
«zekisworld» // 390 000 Abonnenten

Swissmeme ist der grösste Social-Media-Kanal der Schweiz. Arbeitet mit professioneller Agentur. Trifft mit seinem Humor den Nerv der Zeit und verdient als Internet-Star sein Leben. Ist stolz darauf, jemand zu sein, der Anklang bei den Jugendlichen findet, da er neben seinen Comedy-Videos auch wichtige Werte vermittelt.

Sandra Rodrigues Pinto
Mode

«entre_dois» // 245 000 Follower

Ist stolz, vor fünf Jahren etwas gewagt zu haben, woran die wenigsten geglaubt haben. Führt heute ihr eigenes Modelabel und arbeitet als Digital Freelancer mit namhaften Brands. Zu machen, worauf man selbst Lust hat, und sich selber treu zu bleiben ist das Rezept ihres Erfolgs.

 

Facts

Influencer Marketing ist bei Millennials (13- bis 30-Jährige) wichtig: 60% folgen Influencern. 56% davon suchen gezielt nach Produktinformationen. 53% wurden von Influencern zu einem Kauf inspiriert. 

Glaubwürdigkeit ist das wichtigste Merkmal guter Influencer-Werbung. Instagram ist die wichtigste Influencer-Plattform. Youtube folgt auf Platz 2. Nur für 1% der Influencer ist Facebook der wichtigste Kanal. Werbung (ob bezahlt oder nicht) muss deklariert werden. (Quelle: Swiss Influencer Marketing Report 2020)

Text: Neslihan Steiner

Von Eitelkeit und falschem Stolz

Straffen, glätten, aufspritzen – die Schönheitsindustrie boomt. Sich mit dem eigenen Äusseren auseinanderzusetzen, liegt wohl in der Natur des Menschen. Doch wie weit sollte man dafür gehen?

In die Schönheitspraxis von Dr. Frank Muggenthaler in Basel kommen sie alle: Polizisten, Handwerker, Lehrer, Kassiererinnen und Anwälte. Ihr Ziel: sich mittels Botox- Spritzen, eines Faceliftings oder operativen Eingriffs wieder ein vitaleres und jüngeres Äusseres zu verpassen. «Die Behandlungsmethoden haben sich in den letzten 20 Jahren stark weiterentwickelt. Man muss sich nicht mehr zwingend unters Messer legen, um jünger auszusehen. Das macht das Angebot für praktisch jedermann und jede Frau zugänglich. Weniger Aufwand bei weniger Kosten – das spricht heutzutage eine vielschichtige Klientel an», sagt Muggenthaler.

Der Schönheitschirurg und Gesichtsästhetiker ist mit dem Schönsein aufgewachsen, schon sein Vater war in den 50er-Jahren ein Pionier in Sachen Gesichtschirurgie. Dennoch geht Frank Muggenthaler nun eigene Wege – und nimmt weniger häufig als noch vor einigen Jahren das Skalpell in die Hand; seine Werkzeuge sind mehrheitlich Spritzen, Laserstrahlen, LED-Lampen und chemische Peelings. «Eine gute, gepflegte, idealerweise glatte Haut zu haben, ist ein zentrales Bedürfnis. Sie strahlt Gesundheit aus. Es ist nun mal so, dass der Konkurrenzdruck zunimmt. In der Gesellschaft, aber auch in der Wirtschaft. Meine Klienten berichten mir, dass Kaderstellen an jene gehen, die wach, frisch und vital aussehen», sagt der Mediziner.

Aber nicht nur in der Privatwirtschaft ist die Nachfrage gross. Wer sich in der Gesellschaft bewegt und arbeitet, vergleicht sich schnell einmal mit anderen. Auch Lehrpersonen, die ständig vor einer Klasse stehen und performen, behandelt Muggenthaler häufig in seiner Praxis. «Frauen und Männer im mittleren Alter, die Kinder oder Jugendliche unterrichten, fühlen sich schnell einmal alt. Umgekehrt die Pflegefachkräfte im Altersheim. Sie arbeiten in einer Umgebung, wo Altersgebrechen und Falten dazugehören. Da fühlt man sich automatisch jünger und fitter.»

Hier in Basel schweigt man mehrheitlich darüber, Diskretion ist gewünscht.
Sich mit anderen zu messen, liegt vermutlich in der Natur einer westlichen, modernen, urbanen Gesellschaft. Dazu zu stehen, dass man mit medizinischen Eingriffen nachhilft, nicht unbedingt. «Ich bin häufig unterwegs und über die Jahre viel gereist. Hier in Basel schweigt man mehrheitlich darüber, Diskretion ist gewünscht. Anders ist es, wenn ich Expats aus Asien oder Amerika auf dem Behandlungsstuhl habe. Dort gehört es quasi zum guten Ton, sich etwas machen zu lassen, Haut, Zähne, Haare, Nägel, einfach alles, was irgendwie geht.» Muggenthaler erkennt die Unterschiede auch, wenn es um die Behandlungen selber geht. «Ich arbeite gerne sorgfältig und feingliedrig, damit die Klienten nach der Behandlung oder einem Eingriff nicht komplett anders aussehen. Das wird von der auf Diskretion bedachten Kundschaft geschätzt.» Anders bei den Nationalitäten, die weniger Wert auf Natürlichkeit legen und sich ein sichtbares Ergebnis wünschen. «Da ist man stolz darauf, wenn einen Freunde oder Arbeitskolleginnen auf das veränderte Aussehen ansprechen.»
Wer sich selber sein kann, wird freier und unabhängiger.
Doch wohin führen solche Entwicklungen, der Druck, immer schön, vital und jung aussehen zu wollen? Der Psychologe Udo Rauchfleisch und Autor des Ratgebers «Narzissten sind auch nur Menschen. Wie wir mit ihnen klarkommen.» zumindest beobachtet das Ganze mit einem skeptischen Auge. Denn in seiner Praxis im Gundeli nehmen immer wieder Klienten Platz, die irgendwann unter diesem Druck zusammenbrechen, ihn nicht mehr aushalten. «Wenn jemand immer nur auf sein Äusseres setzt und sich daran mit anderen misst, bleibt das Innere auf der Strecke. Irgendwann merkt man dann, dass man geliebt wird wegen einer blendenden Fassade. Viele können dann nicht mehr aus dieser Rolle schlüpfen und spielen weiter. Wie in einem Theaterstück.» Dann zu merken, dass man das ja gar nicht ist, was man Jahre, teils Jahrzehnte vorgaukelt, kann zu einer Lebenskrise führen. «Klienten berichten mir, dass sie das irgendwann einfach nicht mehr können. Einige begeben sich in eine Therapie, andere konsumieren Drogen oder viel Alkohol, weil sie den Schmerz und die Realität nicht aushalten. Ganz tragische Schicksale enden in einem Suizid», sagt Udo Rauchfleisch.

Wer sich psychotherapeutische Hilfe holt, wagt einen ersten Schritt zurück in die Realität, schaut ihr in die Augen. Versucht, Gegebenheiten und auch Begrenztheiten zu akzeptieren. Etwa Alterserscheinungen wie Falten und Gelenkschmerzen anzunehmen, zu akzeptieren und ihnen versöhnlich zu begegnen. Nicht aus falschem Stolz auf ein Jungsein beharren, das mit 60 oder 70 Jahren auch in einer Art Karikatur enden kann. Es brauche natürlich Mut, zu sich selber zu stehen, zu seinem Alter, zu seinen Makeln. Den Mut haben, anders zu sein, nicht dem gängigen Idealbild entsprechen zu wollen, das uns in Werbung und Social Media ständig proklamiert wird. Zu dem zu stehen, was man wirklich ist, ohne Schminke, ohne übertriebenes Styling, ohne Blendung. «Dieser Mut wird oft belohnt. Wer sich selber sein kann, wird freier und unabhängiger.» Auch weil man lernt, sich weniger mit anderen zu vergleichen, und Anerkennung nicht nur von aussen holt, sondern Wertschätzung bei sich selber und in anderen Lebensbereichen findet.

«Letztlich geht das alles auf ein Grundbedürfnis des Menschen zurück: geliebt zu werden und Anerkennung zu finden. Wer denkt, das sei nicht auf natürlichem Weg möglich, versucht es eben mit Oberflächlichkeiten und trägt besonders dick auf. Irgendwie möchte man ja auffallen.» Irgendwann wird dieses Ringen nach Aufmerksamkeit aber zum Fass ohne Boden, da man immer mehr möchte, mehr Applaus. Und mehr Anerkennung. Mehr Rampenlicht. Dabei würden wir in der westlichen Kultur in einer enorm bunten und vielfältigen Gesellschaft leben, sagt der Fachpsychologe. Egal ob klein oder gross, dick oder dünn, mit schütterem Haarwuchs oder schiefen Zähnen, für alle Menschen gäbe es einen Platz, Chancen und Möglichkeiten, sich zu entfalten. Sich selber lieben zu lernen und am Ende auch stolz auf sich und seine Werte zu sein, ist vielleicht nicht immer ein einfacher Weg, aber ein gangbarer.

Stolz sein und gleichzeitig bescheiden und demütig zu bleiben – das ist wohl am Ende die grosse Kunst.

Text: Denise Muchenberger
Unser E-Newsletter