Investment Letter 7/24

- Wahlen im Vereinigten Königreich und in Frankreich
- Zinssenkungen der EZB und der SNB: Ausblick
- Aktien: Anpassung unserer Anlagestrategie

Chief Investment Officer Sandro Merino beleuchtet Wirtschaftsthemen in der Juli-Ausgabe des Investment Letters.
Am 05.07.2024 in Investment Letter von Dr. Sandro Merino

Wahlen im Vereinigten Königreich

Im Vereinigten Königreich waren am 4. Juli die 650 Sitze des Unterhauses zu vergeben. Diese sind jeweils lokalen Wahlkreisen zugeordnet. Bei Redaktionsschluss hat die Labour-Partei bereits über 410 Sitze erreicht. Damit ist der bisherige Labour-Oppositionsführer Keir Starmer als neuer Premierminister gesetzt. Er folgt dem konservativen Rishi Sunak, der mit seiner Tory-Partei eine historisch einzigartige Wahlschlappe erlitten hat. In über 100 Jahren Wahlgeschichte hat eine Regierungspartei noch nie so viele Sitze (249) bei einer Unterhauswahl verloren. Sogar einige amtierende Minister der Konservativen haben in Heim-Wahlkreisen ihren Sitz im Unterhaus verloren – was eine besondere Demütigung bedeutet. Sogar die für sehr kurze Zeit glücklos als Premierministerin amtierende Liz Truss hat ihren Sitz im Unterhaus verloren. Liz Truss hatte mit einem inkompetenten und völlig missratenen Haushaltsplan ihr Land in eine extrem kostspielige Finanzkrise gestürzt. Ebenfalls einen herben Rückschlag erleidet die schottische Unabhängigkeitsbewegung mit der fast vollständigen Auslöschung ihrer Vertretung im Unterhaus.

Die Labour-Partei erbt eine Vielzahl struktureller Probleme, die nicht zuletzt mit dem Austritt aus der EU in Verbindung stehen. Grosse Unzufriedenheit herrscht mit dem Gesundheitssystem «NHS» und die umstrittene Auslagerung des Asylprozesses nach Ruanda hat, trotz enormer Kosten, bisher nichts zur Reduktion des Stroms illegaler Migration beigetragen. Ein erneuter EU-Beitritt ist gemäss Keir Starmer derzeit nicht geplant, sehr wohl besteht aber das Ziel, die seit dem Brexit rückläufigen Handelsbeziehungen mit der EU neu zu beleben. Die neu regierende Labour-Partei steht vor einem Scherbenhaufen. Gelingt es Keir Starmer nicht rasch, Verbesserungen zu erwirken, dann könnte die enorme latente Unzufriedenheit sehr bald auch die neue Regierung ins Visier nehmen.

Wahlen in Frankreich (Update: Mo, 8.7.2024, 11:15 Uhr)

Die Stichwahl für das französische Parlament fand am Sonntag, 7. Juli statt. Eine noch bei Beginn der Wahlen als möglich erachtete absolute Mehrheit für die von Marine Le Pen angeführte rechtsextreme Partei "Rassembement National" ist nicht eingetreten. Das rechte Lager hat überraschend auch das Ziel die stärkste Partei im Parlament zu werden deutlich verpasst.

Wahlsieger ist das linke Parteienbündnis "Nouveau Front Populaire" das 180 der 577 Sitze gewinnen konnte. Mit 163 Sitzen ist das Parteienbündnis "Ensemble" des Präsidenten Emmanuel Macron sogar zweitstärkste Kraft geworden. Das Ergebnis des "Rassemblement National" ist mit 143 Sitzen weit unter den Wahlprognosen geblieben. Auch die rechtskonservativen Republikaner können mit 66 erreichten Sitzen dem Rassemblement nicht als Steigbügel zur Macht dienen.

Die Links und Mitte Parteien hatten sich für die Stichwahl auf die Unterstützung gemeinsam getragener Kandidaten geeinigt. Damit traten in sehr vielen Wahlkreisen gegen die Kandidaten des Rassemblement National nicht mehrere Kandidaten an, sondern oft bloss nur einer. Mit diesem Schulterschluss konnten die Mitte-Links Parteien eine Parlamentsmehrheit der Rechtspartei offenbar verhindern.

Nachdem Ende Juni das Szenario einer rechts-nationalen Mehrheit im französischen Parlament Schockwellen an den europäischen Börsen ausgelöst hatte, sind Befürchtungen einer Abkoppelung Frankreichs aus dem europäischen Strommarkt und einer Belastung der engen Kooperation mit Deutschland (z.B. bei Rüstungsprojekten und in der Ausrichtung der EU) vorerst vom Tisch.

Nun stellt sich für Frankreich die Frage der Regierungsbildung und des Umganges mit der Abwesenheit einer klaren Mehrheit im Parlament. Die Wahl des Premier Ministers der wohl aus dem Lager der Linken kommen müsste, ist der nächste wichtige Schritt nach den Wahlen. Die Finanzmärkte haben am Montagmorgen freundlich auf das durchaus überraschende Wahlergebnis in Frankreich reagiert.

Zinssenkungen der EZB und der SNB: Ausblick

Im Juni haben sowohl die Europäische Zentralbank (EZB) als auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Leitzins um jeweils 0,25 % gesenkt. Die Inflation in der Schweiz für den Monat Juni liegt mit 1,3 % unter dem Vormonat. Dies bestätigt die Erwartung der SNB, dass die Inflation im Jahresverlauf weiter fallen sollte. Der CHF-Leitzins dürfte bis Ende 2024 auf 1 % oder gar 0,75 % fallen. Letzteres wäre wahrscheinlicher, wenn die Inflation deutlicher zurückgehen sollte als erwartet oder falls politische Unsicherheiten den Schweizer Franken besonders stark ansteigen lassen würden.

Aktien: Anpassung unserer Anlagestrategie

In unserer Anlagestrategie haben wir Ende Juni die seit Anfang November gehaltene Übergewichtung von Aktien auf neutral reduziert. Starke Kursgewinne und die damit gestiegenen Bewertungen, die Vielzahl neuer politischer Risiken, insbesondere die mögliche Aufgabe der Kandidatur von Joe Biden, und die weitgehend eingepreisten Szenarien für Zinssenkungen waren ausschlaggebend für unseren Entscheid. Damit signalisieren wir, dass wir bis Ende des Jahres für Aktien nur noch moderate Kursgewinne im tiefen einstelligen Bereich erwarten.

USA: Schwächere Konjunkturdynamik voraus

Für das erste Quartal 2024 wurde nun ein Anstieg des US-BIP von 1,4 % (QoQ, annualisiert) vermeldet. Das Plus beim privaten Verbrauch wird mit 1,5 % angegeben. Es liegt damit deutlich unter den Werten der beiden Vorquartale von jeweils etwas mehr als 3 %. Es bleibt spannend, wie sich die BIP-Zahlen weiterhin entwickeln. Aktuell geht der Konsens für das gerade abgelaufene zweite Quartal von einer Zunahme des BIP um 2 % aus und auch für die Konsumausgaben wird ein ähnlicher Anstieg erwartet. Für die vor uns liegenden Monate scheinen die Aussichten dagegen etwas eingetrübt. So hat der Einkaufsmanagerindex für die Industrie erneut nachgegeben, und zwar auf 48.5 Punkte (Abb. 1). Dies signalisiert Stagnation bzw. leichte Kontraktion in diesem Bereich. Die anhaltend restriktive Geldpolitik und die dadurch verschärften Finanzierungskonditionen für Unternehmen und Haushalte sind für die Konjunktur wenig förderlich. Für die kommenden beiden Quartale wird denn auch mit Wachstumsraten des BIP (QoQ, annualisiert) von unter 2 % am Markt gerechnet.

Abb. 1: USA – Einkaufsmanagerindex

Eurozone: Aussichten bleiben eingetrübt

Nachdem verschiedene Frühindikatoren im Vormonat positiv überrascht hatten, buchstabierten sie im vergangenen Monat wieder zurück. So gaben sowohl der Einkaufsmanagerindex für die Industrie als auch der für den Dienstleistungsbereich im Juni nach. Beide verfehlten die Erwartungen. Der Index für die Industrie liegt mit 45.8 Punkten im kontraktiven Bereich. Entsprechend gab auch der Gesamtindex nach und signalisiert mit 50.9 Punkten eine eher stagnierende Entwicklung der wirtschaftlichen Aktivität. Positiv bleibt die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote liegt weiterhin bei sehr tiefen 6,4 % (Abb. 2). Die BIP-Prognose (Median) für 2024 wird weiter mit 0,7 % angegeben.

Abb. 2: Eurozone – Arbeitslosenquote in Prozent

Schweiz: Unterdurchschnittliche Konjunktur

Nachdem der Einkaufsmanagerindex der Industrie im Mai zulegen konnte, gab er im Juni wieder nach. Mit 43.9 Punkten liegt er deutlich im kontraktiven Bereich. Positiv entwickelte sich dagegen die Stimmung im Dienstleistungsbereich. Der Index liegt mit 52 Punkten wieder über der kritischen 50-Punkte-Marke und verspricht für die kommenden Monate einen leichten Anstieg der Wirtschaftsleistung. Das KOF-Konjunkturbarometer liegt bei 102.7 Punkten. Es bewegt sich etwas über seinem langfristigen Durchschnitt (Abb. 3). Für die Schweizer Konjunktur wird ein Anstieg des BIP von 1,2 % prognostiziert, gegenüber einem Durchschnitt der vergangenen 24 Jahre von 1,9 %.

Abb. 3: Schweiz – KOF-Konjunkturbarometer

SNB lockert ihre Geldpolitik weiter 

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) senkte ihren Leitzins erneut um 0,25 % auf 1,25 %. Laut Nationalbankpräsident Thomas Jordan ist die SNB überzeugt, dass die wirtschaftlichen Bedingungen eine weitere Zinssenkung zulassen, ohne dabei die Preisstabilität zu gefährden. Die Inflation verharrte im Mai bei 1,4 % und überraschte damit zum wiederholten Mal mit niedrigeren Werten als allgemein erwartet. Die SNB korrigierte denn auch ihre Inflationsprognose erneut leicht nach unten. So sieht die neue Prognose einen Rückgang der Teuerung auf durchschnittlich 1,3 % in diesem Jahr vor. Dieser Trend sollte bis Mitte 2026 andauern, bis schliesslich ein Niveau von 1,0 % erreicht wird. Dies entspricht auch den längerfristigen Inflationserwartungen der Nationalbank. Gegenüber den Medien erläuterte Jordan, dass die SNB ihre Geldpolitik angesichts der sinkenden Inflation weder als expansiv noch als restriktiv, sondern als angemessen erachtet. Mit dem jüngsten Schritt der SNB dürfte der Spielraum für weitere Zinssenkungen jedoch klein geworden sein. Erst wenn sich die wirtschaftliche Lage deutlich verschlechtern sollte, dürften weitere Senkungen in Betracht gezogen werden.

Ausblick

Der abnehmende Inflationsdruck und durchwachsene Konjunkturdaten hielten die Anleihemärkte beidseits des Atlantiks auf Trab. Die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihen verzeichnete Ende Juni im Vergleich zum Vormonatsende einen Rückgang um rund 10 Basispunkte (Bps) auf 4,40 %, nachdem sie Mitte Juni mit 4,22 % den niedrigsten Stand erreicht hatte. Die Rendite der 10-jährigen deutschen Bundesanleihen ging im Juni insgesamt leicht zurück auf 2,49 %. Die Rendite der 10-jährigen Schweizer Staatsanleihen gab um rund 33 Bps nach und notierte Ende Juni bei 0,46 %. In den nächsten Quartalen dürfte der Inflationsdruck beidseits des Atlantiks weiter graduell nachlassen. Gleichzeitig dürfte die globale Konjunktur etwas in Schwung kommen. Allerdings sind die Konjunkturdaten nach wie vor mit grosser Unsicherheit behaftet. Zudem könnte die Inflation in einigen Ländern länger erhöht bleiben als angenommen. Es bleibt weiterhin unklar, wann und wie schnell Zinssenkungen erfolgen werden. Wir behalten unsere leichte Untergewichtung bei den Obligationen in CHF bei.

Schweizer Immobilienmarkt

Der Juni war trotz einiger Regentage ein sonniger Monat für die Immobilienmärkte. Nach dem Verlustmonat Mai schlossen sowohl die Fonds als auch die Aktien im Plus (Abb. 1). Die Fonds legten um 2,2 % zu und stehen nun im Jahresverlauf bei einem Plus von fast 5 %. Die Aktien konnten immerhin noch beinahe 1 % steigen und liegen aufs Jahr mit 1,2 % im Plus. Der Juni war erst der zweite Monat in diesem Jahr, in dem sich beide Segmente gleichzeitig positiv entwickeln konnten.

Neben der Markttechnik bleibt auch das Umfeld positiv. Immobilienfirmen sammeln weiterhin fleissig Geld am Markt, um entweder Liegenschaften zu erwerben oder den Schuldenberg abzutragen.

Entsprechend der positiven Monatstendenz ist das durchschnittliche Aufgeld auf knapp 21 % angestiegen. Damit sind Immobilienfonds weiterhin nicht überteuert.

Fundamental bleibt die Nachfrage nach Wohnraum stabil. Fondsgesellschaften berichten von steigenden Substanzwerten, stabilen oder steigenden Mieten und sinkenden Leerständen. Sie verfügen in aller Regel über attraktive Ausschüttungen. Durch sinkende Zinsen und Inflation verbessern sich weiterhin die Grundlagen für Schweizer Immobilienmärkte.

Wir halten an unserer neutralen Gewichtung von 5 % im Segment der indirekten Immobilienanlagen fest.

Abb. 1: Entwicklung der Immobilienanlagen in %

Erfolgreiches erstes Halbjahr am Aktienmarkt

Das erste Halbjahr ist für die Investoren an den Aktienmärkten insgesamt sehr erfreulich verlaufen. Dies insbesondere dank überwiegend solider Wirtschafts- und  Unternehmensdaten sowie erwarteter Zinssenkungen, die teilweise auch bereits erfolgt sind. Besonders beeindruckend war die Performance des US-Aktienmarkts, der im Juni nochmals um 3 % in CHF zulegen konnte und seit Jahresbeginn 22,7 % erzielte (Abb. 1). Dagegen hatten die europäischen Aktienmärkte und obendrein der Euro infolge des Erstarkens rechtsextremer Parteien bei den Europawahlen und der daraufhin von Präsident Macron kurzfristig angesetzten Parlamentswahlen in Frankreich ein
schwaches Halbjahresende. Bei japanischen Aktien litten internationale Investoren durch einen weiteren Yen-Verfall.

Im globalen Sektorenvergleich hatten im Juni wie bereits im Mai und zu Jahresbeginn Titel aus dem IT-Sektor dank der anhaltenden Euphorie um künstliche Intelligenz und positiver Gewinnentwicklungen eine starke Outperformance gegenüber dem Gesamtmarkt. Dagegen waren Versorger, Grundstoffe und Industriewerte zum Halbjahresende schwach.

Der Aktienmarktanstieg der vergangenen Monate gründet nicht nur auf einem Wachstum der Unternehmensgewinne, sondern auch auf höheren Bewertungsniveaus. Während das Kurs-Gewinn-Verhältnis in den Schwellenländern, der Eurozone und Japan sich noch in der Umgebung des Durchschnitts der vergangenen zwanzig Jahre bewegt, ist es in den USA deutlich darüber hinausgeschossen und verringert die Attraktivität (Abb. 2).

Abb. 1: Regionale Aktienperformance 1. Halbjahr 2024

Net Total Return Indices in CHF, 31.12.2023=100

Anlagestrategie

Wir haben uns in der zweiten Junihälfte zu Gewinnmitnahmen bei Aktien entschieden und die Aktienquote von einem Übergewicht auf eine neutrale Gewichtung zurückgeführt. Die Aktienmärkte sind im ersten Halbjahr sehr gut gelaufen und haben die Erwartungen, die wir zu Jahresbeginn in sie gesetzt hatten, bereits weitgehend erreicht oder übertroffen. Die soliden Konjunkturerwartungen, Entlastungen durch erfolgte und noch erwartete Zinssenkungen sowie projektierte Gewinnsteigerungen dürften überwiegend von den Investoren eingepreist sein. Dagegen hat die Wahrscheinlichkeit für höhere Volatilität aufgrund von Wahlen – etwa in Frankreich, Grossbritannien, Ostdeutschland oder in den USA – zugenommen. Auch die hohen Bewertungen insbesondere in einzelnen Bereichen des US-Aktienmarkts mahnen zur Vorsicht.

Abb. 2: Kurs-Gewinn-Verhältnis basierend auf erwarteten Gewinnen im Vergleich zum historischen Durchschnitt

Heutige Marktentwicklung (Stand 8.7.2024 ca. 11:15 Uhr, Basel Zeit)

Der Schweizer SMI-Index ist mit einem leichten Gewinn von 0,2 % in die neue Handelswoche gestartet. Der deutsche Aktienindex (DAX) gewinnt rund 0,3 %. Der französische Aktienmarkt ist ebenfalls rund 0,2 % im Plus.

Für die US-Aktienmärkte signalisieren die Futures am heutigen Montag einen wenig veränderten Handelsbeginn.

Der EUR-CHF Wechselkurs steht heute Morgen wenig verändert bei der Marke von 0,97 CHF je Euro.

Dr. Sandro Merino

Chief Investment Officer und Leiter BKB Asset Management

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